1 00:00:04,796 --> 00:00:08,342 Es ist schon ein paar Jahre her, dass ich den Bechdel-Test für die Präsenz von Frauen in Filmen vorgestellt habe. 2 00:00:08,342 --> 00:00:10,469 Deshalb dachte ich, es ist ein guter Zeitpunkt, zu schauen, ob sich seitdem in Hollywood 3 00:00:10,469 --> 00:00:14,640 die Darstellung von Frauen auf der großen Leinwand verbessert hat. 4 00:00:14,640 --> 00:00:20,229 Eine Möglichkeit, dies zu tun, ist die für den Oscar als „Bester Film“ 2011 nominierten Filme dem Test zu unterziehen. 5 00:00:20,229 --> 00:00:23,398 Schließlich gelten diese weithin als „das Beste vom Besten“, 6 00:00:23,398 --> 00:00:25,817 zumindest in der Filmindustrie selbst. 7 00:00:25,817 --> 00:00:30,155 Vorher soll aber noch kurz einmal darauf eingegangen werden, was der Bechdel-Test ist und wie er durchgeführt wird. 8 00:00:30,155 --> 00:00:34,064 Der Bechdel-Test ist ein einfaches Maß für die Relevanz von Frauen in einem Filmdrehbuch 9 00:00:34,064 --> 00:00:36,850 und misst ganz allgemein die Präsenz von Frauen in Hollywood-Filmen. 10 00:00:36,850 --> 00:00:41,517 Er hat seinen Ursprung im Comic „Dykes to Watch Out For“ von Alison Bechdel aus dem Jahr 1985. 11 00:00:41,517 --> 00:00:45,767 Um den Test zu bestehen, muss ein Film lediglich diese drei ganz einfachen Kriterien erfüllen: 12 00:00:45,767 --> 00:00:49,049 Im Film gibt es mindestens zwei Frauen mit Namen, 13 00:00:49,049 --> 00:00:50,480 die miteinander sprechen, 14 00:00:50,480 --> 00:00:52,431 und zwar über etwas anderes als einen Mann. 15 00:00:52,431 --> 00:00:53,638 Ziemlich einfach, nicht? 16 00:00:53,638 --> 00:00:56,765 Noch niedriger kann man die Messlatte 17 00:00:56,765 --> 00:00:59,268 für die Präsenz von Frauen in Filmen ja gar nicht setzen. 18 00:00:59,268 --> 00:01:01,228 Dies war ursprünglich auch ein bisschen als Witz gedacht, 19 00:01:01,228 --> 00:01:05,649 um sich darüber lustig zu machen, dass es so wenige Filme mit bedeutenden weiblichen Rollen gibt. 20 00:01:05,649 --> 00:01:08,068 Der Test ist dann in den letzten Jahren so wichtig geworden, 21 00:01:08,068 --> 00:01:12,447 weil er tatsächlich ein ernstes und andauerndes Problem in der Unterhaltungsindustrie aufzeigt. 22 00:01:12,447 --> 00:01:15,867 Lasst uns also mit dem im Hinterkopf einen Blick auf die Nominierten für den „Besten Film“ der Academy Awards 2011 werfen 23 00:01:15,867 --> 00:01:18,745 und wie sie im Bechdel-Test abschneiden. 24 00:01:18,745 --> 00:01:20,596 Zum Anfang "The Descendents". 25 00:01:20,596 --> 00:01:23,754 Eine Geschichte über einen Vater, der seine Familie durch eine Krise manövriert. 26 00:01:23,754 --> 00:01:27,129 Die Mutter ist praktisch schon „im Kühlschrank“, bevor der Vorspann abgelaufen ist, 27 00:01:27,129 --> 00:01:29,923 um den Auslöser für die Entwicklung der Figur des Vaters zu liefern. 28 00:01:29,923 --> 00:01:34,469 Der Film besteht den Test dank einiger kurzer Gespräche zwischen weiblichen Rollen, 29 00:01:34,469 --> 00:01:37,556 u.a. der beiden Töchter Alex und Scottie. 30 00:01:37,556 --> 00:01:42,894 “Moneyball” erzählt die Geschichte eines Baseball-Teams der American League um dessen Manager Billy Beane. 31 00:01:42,894 --> 00:01:47,566 Er fällt mit fliegenden Fahnen durch den Test, da er nicht einmal über zwei weibliche Rollen verfügt, die sich miteinander unterhalten. 32 00:01:47,566 --> 00:01:51,153 Dennoch ist er überraschend witzig und fesselnd. 33 00:01:51,153 --> 00:01:54,323 “Tree of Life” ist ein eher experimenteller Film über einen Jungen und dessen Familie. 34 00:01:54,323 --> 00:01:57,563 Er fällt durch den Test, denn in der einzigen kurzen Gesprächsszene zwischen zwei Frauen 35 00:01:57,563 --> 00:02:00,329 unterhalten sie sich über den Tod des Sohnes. 36 00:02:00,329 --> 00:02:03,165 Zwar gibt es dem Film allgemein nur wenige Dialoge, 37 00:02:03,165 --> 00:02:06,340 aber Vater und Sohn unterhalten sich mehrfach miteinander. 38 00:02:06,340 --> 00:02:11,262 “Hugo Cabret” ist ein eigenwilliger Film über einen Waisenjungen, der versucht, ein von seinem Vater hinterlassenes Geheimnis zu lüften. 39 00:02:11,262 --> 00:02:14,134 Hier gibt es zwar zwei weibliche Rollen mit Namen, die sich unterhalten, 40 00:02:14,134 --> 00:02:17,253 allerdings nur über Männer, bis auf das folgende 5-Sekunden-Gespräch, 41 00:02:17,253 --> 00:02:21,391 so dass manche wohl argumentieren würden, der Film bestehe den Test. 42 00:02:21,391 --> 00:02:25,896 Isabelle: “Du warst Schauspielerin? Eine echte Filmschauspielerin? Das ist unglaublich romantisch, Mama.“ 43 00:02:25,896 --> 00:02:30,609 Mama: „Das kann man nicht mit heute vergleichen, wir waren keine Filmstars, wie es sie heute gibt.“ 44 00:02:30,609 --> 00:02:34,446 Du weißt, dass irgendwas gewaltig falschläuft, wenn dir im Kino deine Popcorntüte runterfällt, 45 00:02:34,446 --> 00:02:37,919 und wenn du sie aufgehoben hast, hast du die einzige Szene im ganzen Film verpasst, 46 00:02:37,919 --> 00:02:40,009 in der Frauen tatsächlich miteinander sprechen. 47 00:02:40,009 --> 00:02:43,167 “Extremely Loud and Incredibly Close” fällt ebenfalls durch den Test. 48 00:02:43,167 --> 00:02:47,376 Der Film erzählt die Geschichte eines Jungen, der seinen Vater durch 9/11 verloren hat. 49 00:02:47,376 --> 00:02:51,340 Zwei Frauen unterhalten sich nie über etwas anderes als den Jungen. 50 00:02:51,340 --> 00:02:55,752 “Midnight in Paris” erzählt in klassischer Woody-Allen-Manier von der Selbstfindungssuche eines Mannes. 51 00:02:55,752 --> 00:02:58,011 Es gibt zwar einige Frauen in diesem Film, 52 00:02:58,011 --> 00:03:01,848 diese sprechen allerdings nie wirklich über etwas anderes als Männer und deren Einfluss in ihrem Leben. 53 00:03:01,848 --> 00:03:05,760 Einige Kritiker_innen argumentierten, dass der Film durch diese Szene den Test besteht: 54 00:03:05,760 --> 00:03:10,102 Helen: Schau dir die mal an, Inez. Würden die sich nicht toll in einem Strandhaus am Malibu Beach machen? 55 00:03:10,102 --> 00:03:11,286 Inez: Oh... 56 00:03:11,286 --> 00:03:12,493 Helen: Wieviel, Monsieur? 57 00:03:12,493 --> 00:03:14,119 Ladenbesitzer: 18.000. 58 00:03:14,119 --> 00:03:15,280 Helen: Danke. 59 00:03:15,280 --> 00:03:16,154 Inez: Wieviel kostet das? 60 00:03:16,154 --> 00:03:17,669 Helen: Ein wahres Schnäppchen für 18.000 Dollar. 61 00:03:17,669 --> 00:03:20,575 Gil: 18.000 Dollar, dafür!? 62 00:03:20,575 --> 00:03:21,828 Helen: Oh, Moment, das sind Euros… 63 00:03:21,828 --> 00:03:26,123 Aber wie zu sehen, sind auch die von Owen Wilson gespielte Person und der Ladenbesitzer an dem Gespräch beteiligt. 64 00:03:26,123 --> 00:03:27,749 Ich würde also sagen, dass der Film durchfällt. 65 00:03:27,749 --> 00:03:30,794 Ich werde allerdings später noch auf die Frage der einzelnen Dialogzeile zurückkommen. 66 00:03:30,794 --> 00:03:32,834 Noch peinlicher an diesem Film ist allerdings: 67 00:03:32,834 --> 00:03:37,092 Eine der wichtigsten historischen Persönlichkeiten, mit denen Gil im Film spricht, ist Gertrude Stein. 68 00:03:37,092 --> 00:03:39,010 Für diejenigen, die sie nicht kennen: 69 00:03:39,010 --> 00:03:42,772 Gertrude Stein ist eine der berühmtesten Schriftstellerinnen und Lesben der amerikanischen Geschichte. 70 00:03:42,772 --> 00:03:47,727 Und Woody Allen wagt es, sie im gesamten Film nicht mit einer einzigen anderen Frau sprechen zu lassen!? 71 00:03:47,727 --> 00:03:49,980 „War Horse“ erzählt die Geschichte eines Jungen und seines Pferdes. 72 00:03:49,980 --> 00:03:51,619 Er fällt durch. 73 00:03:51,619 --> 00:03:53,316 Also weiter. 74 00:03:53,316 --> 00:03:56,903 “The Help” ist ein frauenzentrierter Film mit einer großen Anzahl weiblicher Rollen, 75 00:03:56,903 --> 00:03:58,780 und er besteht zweifellos den Test. 76 00:03:58,780 --> 00:04:03,285 Der Film ist zwar sehr fragwürdig, was die Darstellung von Rassismus in Amerika betrifft. 77 00:04:03,285 --> 00:04:07,831 Viola Davis und Octavia Spencer liefern aber beide eine großartige und bewegende Darstellung ab. 78 00:04:07,831 --> 00:04:11,426 Und schließlich “The Artist”, ja richtig, ein Stummfilm. 79 00:04:11,426 --> 00:04:16,418 Wahrscheinlich fragt ihr euch, wie der Bechdel-Test auf einen Film ohne gesprochene Dialoge angewandt werden soll. 80 00:04:16,418 --> 00:04:20,510 Nun, wie im klassischen Stummfilm kommunizieren die Personen durchaus miteinander, 81 00:04:20,510 --> 00:04:22,177 über Zwischentitel, 82 00:04:22,177 --> 00:04:23,221 durch Lippenbewegungen, 83 00:04:23,221 --> 00:04:26,850 Gestik, Mimik und Pantomime. 84 00:04:26,850 --> 00:04:30,896 Also wird für diesen Film jede Art nonverbaler Kommunikation zwischen zwei Frauen einbezogen, 85 00:04:30,896 --> 00:04:34,019 die auf irgendeine Weise für die Geschichte wichtig ist, und bei der es nicht um einen Mann geht. 86 00:04:34,019 --> 00:04:36,898 Und, kaum zu glauben: Der Film fällt dennoch durch. 87 00:04:36,898 --> 00:04:41,656 Anscheinend bestehen also von den 9 Oscar-nominierten Filmen für 2011 nur 2 eindeutig den Bechdel-Test, 88 00:04:41,656 --> 00:04:44,451 während es bei 2 weiteren durch eine einzelne Dialogzeile strittig ist. 89 00:04:44,451 --> 00:04:48,288 Und v.a. ist nur einer der nominierten Filme frauenzentriert. 90 00:04:48,288 --> 00:04:50,081 Um auf „Hugo Cabret“ und „Midnight in Paris“ zurückzukommen: 91 00:04:50,081 --> 00:04:54,917 Oft laufen Diskussionen über den Bechdel-Test leider darauf hinaus, dass darüber gestritten wird, 92 00:04:54,917 --> 00:04:59,514 ob ein Film dank eines kurzen und fragwürdigen Wortwechsels den Test besteht, oder nicht. 93 00:04:59,514 --> 00:05:02,254 Es ist dabei unnötig, sich bei der Frage aufzuhalten, 94 00:05:02,254 --> 00:05:05,305 ob eine Szene von 10 Sekunden als „Unterhaltung“ anzusehen ist. 95 00:05:05,305 --> 00:05:07,682 Wenn überhaupt so viel über diese Frage gestritten wird, 96 00:05:07,682 --> 00:05:12,169 ist das ein deutliches Anzeichen dafür, dass es ein Problem mit der Darstellung von Frauen in dem Film gibt. 97 00:05:12,169 --> 00:05:13,772 Im Sinne des Bechdel-Tests 98 00:05:13,772 --> 00:05:16,836 möchte ich daher mit allem gebührenden Respekt ein kleine Ergänzung vorschlagen: 99 00:05:16,836 --> 00:05:19,158 Im Film müssen mehr als zwei Frauen vorkommen, die sich miteinander 100 00:05:19,158 --> 00:05:23,082 mehr als 60 Sekunden über etwas anderes als einen Mann unterhalten.