Konny: Und jetzt gibt's hier eine kleine Diskussionsrunde, die von Florian Blaschke moderiert wird. Er ist Blogger, Journalist und inzwischen auch Pressesprecher in einem Museum. Er wird das ganze hier moderieren, euch die nächste gute halbe Stunde durchs Programm führen. An seiner Seite sitzen, wir fangen glaube ich an-- wir fangen bei der Dame vorne an, bei Julia Probst, Sie habe ich kennengelernt bei Twitter, als Sie angefangen hat, bei Fussballern, die auf dem Spielfeld was gesagt haben Lippen zu lesen und dann zu übersetzen bei Twitter Es war sehr unterhaltsam, was man da so alles gesehen hat. Bei Twitter findet Ihr Sie unter @einaugenschmaus. Sie ist seit ihrer Geburt gehörlos. Ausserdem in der Runde, daneben, das ist Alexander Görsdorf. Er bloggt auf notquitelikebeethoven, was auch sein Twittername ist. Ein bisschen länger, aber es lohnt sich auf jeden Fall Ihm zu folgen. Auch er ist gehörlos, beziehungsweise, im Laufe der Jahre wurde das Hören immer schwieriger. Rechts daneben sitzt dann noch Enno Park. Ihn kennt man als die Ennomane. Habe ich das so richtig? Ich glaube, ja. Als @ennomane bei Twitter zu lesen. Er ist jetzt seit etwa 20 Jahren auch Gehörlos. Kann aber dank Cochlea Implantaten die Umwelt akustisch ein bisschen besser Wahrnehmen. Er bloggt natürlich auch, neben seinem Twitter-Account, auf ennomane.de Es geht um digitale Barrierefreihiet und Partizipation im Netz und vor allem bei der Besetzung hier auf der Bühen: wie es ist, wenn man schlecht hört? Wie nimmt man das Netz wahr? Wie kann man sich da einbringen? Ich übergebe das Wort an Florian Blaschke und wünsche euch spannende 30 Minuten hier auf der Bühne 5 hier auf der re:publica Florian Blaschke: Dankeschön. Ich glaube, das Mikro ist nicht bereit? Versteht man mich gut? Auch hinten? Gut! Danke Konny für die kurze Einführung. Eigentlich sitze ich hier vorn, weil man mich für Sacha Lobo gehalten hat. Beziehungsweise, weil mich Alexander für Sacha Lobo gehalten hat. Das ist für mich ganz gut, weil die Erwartung kann ich eh nicht erfüllen. Insofern wird das hoffentlich ein ganz charmantes Ründchen hier. Als ich mich die letzten zwei Tage mit dem Thema Internet und Barrierefreiheit beschäftigt habe, habe ich für mich festgestellt, das Netz ist nicht barrierefrei. Das Netz ist jetzt ungefähr 20 Jahre alt und habe es als Fortführung anderer Medien erlebt. Das heisst, Medien wie Fernsehen, Zeitung und Radio, werden im Netz 1zu1 übertragen. Da auch diese Medien vorher nicht barrierefrei gewesen sind, möchte ich einleitend in die Runde Fragen, beginnend bei Enno: Was habt Ihr eigentlich erwartet vom Internet? Wie konntet Ihr überhaupt erwarten, das es barrierefrei wird? Enno: Bei mir war es natürlich in erster Linie die Sache mit dem nicht hören können. Da war dann die Erwartung da, ich kann plötzlich schriftlich am Sozialleben teilhaben. Diese Erwartung wurde zunächst auch ganz grossartig erfüllt. Bei Dir? Alexander: Sag nochmal die Frage bitte. Florian: Die Frage ist, wie man vom Internet, das eine Fortführung anderer, nicht barrierefreier Medien ist, erwarten kann dass es barrierefrei sein soll? Alexander: Ich denke, es ist ganz normal, dass neue Medien als Fortfühung andere gesehen werden und auch so benutzt werden. Woher soll man auch wissen, wie man sie benutzen soll? Jetzt mit der Zeit, wo das Medium älter wird, in vielfacher Hinsicht genutzt wird, auch die technische Entwicklung weitergeht, jetzt stellt sich doch langsam raus, dass man es auf ganz spezifische Weise nutzen kann. Ich glaube, dass ist auch etwas, was man kaum jemandem hier im Saal nochmal extra erklären muss. Und ich denke, über die spezifischen Chancen können wir gleich noch intensiver Reden. Aber ich denke, wir sind in der Phase wo sich ganz besondere Nutzungspotentiale, speziell für Behinderte und Schwerhörige und Ertaubte herausstellen. Florian: Wie siehst Du das Julia? Julia: Meine Erwartung vom Internet ist, dass Untertitelungen kommen, dass auch Gebärdensprachdolmetschung über Bild verbeitet wird Dass man einfach Fortschritte bei der kompletten Verbreitung des Internets über Bild, Video und Gebärdensprache macht. Im Internet gibt es einfach so viele verschiedene Möglichkeiten, dass es so einfach macht, dass man es nutzen kann. Es ist so einfach, einzelne Elemente noch einzubauen. Florian: Trotzdem, ist immer wieder nötig, dass Du die Leute ganz penetrant darauf hinweisst, dass etwas im Internet etwas schief läuft. Wer Julia auf Twitter folgt, wird feststellen, dass Sie die Leute pisackt bis aufs Blut und immer wieder einfordert, dass Sachen untertitelt werden, dass das Internet barrierefrei wird. Wie sind da die Reaktionen, auf diese Hartnäckigkeit bei Dir? Julia: Ein Ziel habe ich schon erreicht, ich habe mich beschwert, dass keine Untertitel vorhanden sind. Jetzt sind sie zum Beispiel bei der Sendung Tatort da. Es gibt also ein paar Schritte, aber 100% habe ich noch nicht geschafft. Aber, ich gehe voran. Florian: Wird diese Hartnäckigkeit manchmal für Dich zum Problem? Bekommst du negatives Feedback auf diese Hartnäckigkeit? Julia: Teile sind natürlich nicht möglich. Manchmal reagieren die Leute einfach so drauf und sagen es gehe einfach noch nicht. Aber ich habe das Gefühl, dass die Leute auch dankbar sind. Viele haben auch keine Ahnung... Es ist wichtig, dass die Leute da sind und ihre Meinung sagen und Bescheid geben, dass man Untertitel und Gebärdensprachdolmetscher braucht. Es ist eben wichtig, dass man das sagt. Florian: Jetzt seid Ihr alle drei nicht unbedingt Stellvertreter für Gehörlose oder Hörbehinderte. Ihr habt alle den Vorteil, dass Ihr Euch sehr gut ausdrücken könnt. Ihr bloggt, twittert oder tut beides; das auf einem sehr hohen Niveau. Was eigentlich bedeutet, Teilhabe ist nur möglich, wenn eine sprachliche Bildung erfolgt. Ausserhalb davon, dass es auch eine intellektuelle Bildung braucht. Vor allem die sprachliche Ausdrucksfähigkeit muss da sein . Wie wichtig ist das und was ist da noch für ein Nachholbedarf? Ganz großes Problem und ganz große Schwierigkeit weil man diesen Nachholbedarf nicht definieren kann. Es heißt ja immer so schön "On the Internet, nobody knows you're a dog" und wir können da alle so Sachen reinschreiben und wenn wir irgendeine Behinderung oder sonstige Nachteile haben wird das nicht wirklich wahrgenommen. Das Problem ist halt, dass gehörlos aufwachsende Menschen sehr sehr häufig, im Gegensatz zu Julia Probleme mit der Schriftsprache haben dann denken die Leute so beim Lesen eines Forenbeitrages warum schreibt der so komisch und dann setzen sich die Ausgrenzungsmechanismen im Netz eben doch wieder fort das ist ein Problem an dem viele gerade knabbern wie sich das denn nun verbessern ließe Florian: Mein Mikro hat ne Störung, tut mir leid Ähm, wie erlebst Du das mit der sprachlichen Bildung? Gerade bei Dir ist es ja so Du bist ja so, Du bist ja auch noch Soziologe das heißt Du hast einen wissenschaftlichen Blick vielleicht auf dieses Phänomen Also-- die die Bedeutung von Schrift und schriftlichem Ausdruck ist ne ganz interessante Sache, die man gerade an dem Beispiel Hörprobleme nochmal hervorheben kann Wie Enno sagte, es gibt diese Vorstellung, dass das Internet der große Revolutionär ist, der die Gesellschaft umkrempelt, weil es einfach unglaublich viel Potential birgt das ist auch so, ganz ohne Zweifel wenn man sich mal anschaut wie sich die Landschaft der Medienöffentlichkeit geändert hat was da alles für neue Stimmen dazugekommen sind, die es vorher nicht gab und die es auch früher in den Strukturen von, sagen wir den 1980ern, nicht hätte geben können unsere Stimmen zum Beispiel. Aber gleichzeitig ist es auch wichtig zu gucken diese Vielfalt an Partizipationsmöglichkeiten wie ist die denn strukturiert, wen schließt die denn wiederum aus und dann stößt man nämlich auf dieses Fakt oder auf diesen Umstand dass es eben doch bestimmte Dinge gibt, die man die man tun oder können muss, um sich bekannt zu machen, um aufzufallen um sich durchzusetzen. Und eines davon ist eben diese Schriftstprachekompetenz Das betrifft natürlich nicht nur Gehörlose, sondern auch ne ganze Reihe von anderen Personen und deswegen ist das finde ich ein wichtiger Punkt, den es festzuhalten gilt. Wir drei, würde ich jetzt einfach mal sagen, sind gewissermaßen als Wortartisten hochgespült worden. Das ist, wenn man so will, ein Zufall. Wenn wir nicht hätten schreiben können oder wenn das Netz irgendwie anders struturiert wäre dass es diese Art zu schreiben nicht in dem Moment in dem wir kamen, auch noch honoriert hätte, dann wäre das sicherlich nicht so gewesen. Es gibt ja viele Unterhaltungen darüber ob es jetzt zu einem Blogsterben kommt, zu einer Verlagerung der Diskussion in viel kürzere Medien oder visuelle Medien, Stichwort pinterest. Da kann man schon Fragen haben Zum einen ob das, diese Schriftbasiertheit des Phänomens Gehörlosen- oder Schwerhörigenblogger ob das nicht was ist, was einerseits auf die Kompetenz hinweist, die Schriftsprache und andererseits auf so einen historisch vorübergehenden Moment Ist das in 5 Jahrene auch noch wichtig? Ich weiß es nicht, vielleicht gibt es dann ganz andere Möglichkeiten mit denen man sich nach oben spülen kann. Sicher ist aber, dass es auch dafür wieder Ausschlussmechanismen gibt und Dinge, die man können muss die man lernen muss und bei denen es auch wichtig wäre, dass die vermittelt werden wenn man so etwas vorantreiben möchte wie Partizipation von benachteiligten Gruppen Julia: Ein großes Problem ist auch, dass gehörlose Kinder wenn sie in die Schule kommen dürfen nicht in Gebärdensprache unterrichtet werden denn Lehrer dort müssen die Gebärdensprache nicht können aber in der Universität Berlin z.B. ist es Vorschrift, da muss man Gebärdensprache abgeschlossen haben um zu unterrichten Aber es gibt zum Beispiel in Köln oder in München keine Vorschrift dass Lehrer, die Kinder unterrichten, auch Gebärdensprache können müssen. Da haben sie natürlich ein Problem, die deutsche Sprache zu lernen wenn der Unterricht nur mit Mundablesen funktioniert. Ich bin gehörlos, ja. Aber ich bin auf eine hörende Schule gegangen. Das war ein Vorteil, dass ich mich sprachlich so entwickelt hab. In dieser Hinsicht haben aber nicht alle Kinder. Man braucht einfach dafür Gebärdensprache, dass man das schafft. Florian: Obwohl ich behaupten würde, dass das Problem der Teilhabe unter bestimmten Voraussetzungen, in dem Fall, dass man sich sprachlich gut ausdrücken kann, kein Problem von Menschen mit Behinderungen ist. Mir ist das gestern aufgefallen als ich drüber nachgedacht hab es gibt ein schönes Beispiel aus dem Alltag, das wir alle kennen: Man geht in die Oper, es ist ne italienische Oper und -- sie wird übertitelt Wenn ich kein Italienisch kann und ich die Untertitel nicht hätte wäre ich also behindert Und könnte nicht teilhaben. Das heißt, es gibt Das heißt, es gibt einen Moment, der ganz alltäglich ist wo untertitelt oder übertitelt wird aber der hat nichts mit dem was wir unter klassischer Behinderung verstehen zu tun. Das heißt, im Prinzip ist doch diese ganz Politik, die sich mit Inklusion und Barrierefreiheit beschäftigt, die darf doch keine Behindertenpolitik sein. Wäre meine These. Man muss doch da das Bewußtsein ändern. Enno: Ganz genauso ist es. Ähm.. Julia hatte auch mal die Forderung.. ähm.. viel mehr Sendungen müssten untertitelt werden. Zumindest im öffentlichen Rundfunk wo wir halt zwangsweise Gebühren zahlen. Ich glaube, die Quote ist jetzt bei 12%, das ist viel viel zu wenig. Ich gehe aber viel weiter: ich möchte nicht nur, dass im deutschen Fernsehen Sendungen untertitelt werden für gehörlose und schwerhörige Menschen. Ich möchte.. ahm.. ich denk jetzt mal einfach so ein bisschen visionärer, eine EU-Richtlinie haben die sämtliche Fernsehsender der EU einer bestimmten Grösse verpflichtet, per Videotext Untertitel in allen wichtigen EU-Sprachen auszustrahlen um eben z.B. nicht nur konkrekt Hörgeschädigten zu helfen, sondern auch.. öh.. einem Dänen zu ermöglichen, mit dänischem Untertitel eine interessante Sendung im italienischen Fernsehen zu schauen oder derleien. Ein ähnliches Gesetz gibt es in den USA, die es etwas einfacher haben damit, weil sie nur Englisch brauchen Aber, es hat sehr positive Auswirkungen die Immigranten auf die Alphabetisierungsrate und so weiter. Alexander: Ich denke es gibt zwei Dinge die es da zu unterscheiden und gleichzeitig voranzutreiben gibt: Das eine ist, ne sehr zielgerichtete, wenn man so will, Klientelpolitik, wo es einfach draum geht, Missstände möglichst zu beheben. Wie man sagen kann.. ähm.. wenn jetzt hier kein Gebärdensprachdolemtscher vorhanden wäre, dann ist das ein Problem für Gehörlose. Das ist ein Ding, was man angehen muss. Man kann sich aber auch diesen anderen Blickwinkel zulegen, der mehr in Richtung Diversity geht, wo man sagt: Na ja, es gibt nicht nur eine Klientel, nicht nur eine Gruppe von Behinderten, sondern es gibt ganz viele Gruppen von Behinderten und zusätzlich noch Einwanderer, Leute die der Sprache nicht mächtig sind, die es alle zu berücksichtigen gilt. Und dann ist man bei so einem Ansatz, der jede einzelne Klientel relativiert. Und das ist manchmal relativ schwierig zusammenzukriegen. Ich denke, es kommt darauf an, dass man nicht das eine gegenüber dem anderen vernachlässigt. Weil,Diversity und der Ansatz, möglichst allumfassende Inklusion hinzukriegen, dass ist natürlich der weiterführende Ansatz. Das ist der, von der Gesellschaft die wir gerne wollen, möglichst in 10 Jahren, oder so etwas. Aber gleichzeitig gibt dies die Möglichkeit, sich aus der Verantwortung zu stehlen, weil eben der Fokus nicht mehr auf benennbare einzelne Klientel gerichtet ist. Das heisst, man braucht auf jeden Fall beides.. äh.. denke ich. Man braucht zum einem diese Planungs-Design-Überlegung, wie kann man Institutionen, wie kann man Rundfunk, wie kann man Medien so einrichten, dass eine sehr diverse Zielgruppe.. also eine die, von denen manche nicht hören, von denen manche nicht sehen, von denen manche.. äh.. Tastatur nicht bedienen können, von denen manche, was auch immer, Sprachkenntnisse fehlen. Das sind in Planungsüberlegungen berücksichtigen, aber gleichzeitig, es nicht vernachlässigen unmittelbare kleinere Massnahmen zu treffen, die ganz spezifische Zielgruppen betreffen. Weil sonst führt das eben dazu, dass sich Leute und Institutionen aus der Verantwortung stehlen können. Florian: Jetzt bist Du, Julia, diejenige die gerade über Twitter ganz viel Kontakt hat zu Fernsehsendern, zu Medien. Ich habe vorhin gesagt, Du pisackst die. Was bekommst Du für Antworten? Was werden da für Gründe genannt, warum Barrierefreiheit angeblich noch nicht möglich ist? Julia: Also, viele sind dankbar für das Feedback. Das Problem ist, die eine Hand weiß oft nicht was die andere tut. z.B. auf DVD's gibt es ja immer Untertitel und die kann man aber nicht einfach im Fernsehen übernehmen, wenn der Film ausgesendet wird. Es sind immer so einzelne Stationen, also irgendwie wird hier was verbessert und da was verbessert. Aber, es muss eben zusammengearbeitet werden. In der Politik ist auch das Problem-- da muss man eigentlich selber behindert sein, damit da was bewegt wird. Für nicht Behinderte ist es oft nicht so selbstverständlich, dass diese Themen bearbeitet werden. Denn es fällt einfach mehr auf, wenn man selbst betroffen ist und solang man nicht betroffen ist und wenn in der Politik eben keine Betroffenen sind, dann ist es sehr schwierig. Im Fernsehen z.B. gibt's sehr unterschieldiche Situationen. Also in Ägypten, beispielsweise, beim Welttag, da wurden Gebärdensprache- und Schriftdolmetscher im Fernsehen eingesetzt. Und da denke ich mir, wenn ich jetzt Deutschland mit Ägypten vergleiche, Deutschland ist eigentlich ein Industirestaat und wir haben aber immer noch nur 14 bis 18% Untertitel, wie kann das sein, dass in einem Land wie Ägypten das automatisch eingesetzt wird und in Deutschland nicht? Florian: Jetzt hast du persönlich den Vorteil, dass du Lippenlesen kannst. Hast du schon mal das Feedback bekommen, dass ja gerade durch diese Fähigkeit des Lippenlesens eigentlich so was wie Untertitel für Dich gar nicht mehr nötig sind? Weil, du verstehst ja die Menschen. Julia: Ja ja, die Leute haben mich oft schon gefragt, was beschwerst Du Dich? Du kannst doch so toll Lippen ablesen. Dann habe ich gesagt: Moment! Deutschland hat 80'000 Gehörlose und 16 Millionen Schwerhörige und ich bin mir selber klar, dass nicht alle so super toll Absehen können. Florian: Wir haben uns Gestern... Alexander: Dazu vielleicht ein ganz kleiner Nachsatz, weil das so gut an dieses Thema mit der Schriftspracheinkompetenz anschliesst, von Anfang an. Diese drei Fälle, die hier auf der Bühne sitzen, gewissermassen, die sind, denke ich, dadurch entstanden, dass bestimmte Dinge gut gekonnt werden. Schreiben, Lippenlesen, was auch immer und das birgt irgendwie, hinterrücks in sich die Gefahr, dass man als unbedarfter Leser, als unbedarfter Zuschauer natürlich denkt: Aha, so sind also Schwerhörige, so sind also Gehörlose. Die können alle super gut Lippenlesen. Das führt zu lustigen Effekten, dass sich dann Leute auf einmal nicht trauen, frei zu sprechen, wenn Lippen lesende Menschen im Raum sind. Was auch ein bisschen übertrieben ist. Das hat aber auch die Kehrseite, dass es natürlich unter Schwerhörigen und Gehörlosen, genauso wie in jeder X-beliebigen Gruppe, sone und solche gibt. Das heisst, es gibt Leute die können nicht Lippen lesen oder nicht gut. Es gibt eben auch Leute, die können nicht schreiben, es gibt Leute die können nicht beobachten. Die haben nicht diese sprichwörtliche Beobachtungsgabe von Menschen, die nicht hören können, und das obwohl sie nicht hören können. Das ist so eine zweispal.. zwiespaltige Sache... zweischneidige Sache, dass man sich einerseits in den Vordergrund auch stellt, bewusst, mit den Fähigkeiten die man hat. Aber andererseits dann eben Gefahr läuft ein Bild zu erzeugen, was falsche Erwartungen weckt. Enno: Ja, es ist ähm.. vor dem Hintergrund ein ganz wichtiger Gedanke Wir tendieren ganz stark dazu die Menschen zu separieren. So wie im dreigliedrigen Schulsystem, wie wir die Kinder sortieren, sortieren wir dann auch die behinderten Kinder ganz schnell weg. Die können dann ihre Talente nicht wirklich ausleben, die werden nicht wahrgenommen. Die leben am besten noch wohlbehütet und gepampert. Aber dann trotzdem nicht ohne Teilhabe an der Gesellschaft in irgendwelchen Wohngruppen und da hilft die technische Lösung einfach nicht weiter. Ich habe jetzt in meinem Fall ein Cochlea Implantat, nach 20 Jahren nahe zur Gehörlosigkeit, bin ich jetzt so gut wie normalhörend. Ich sage immer so: Ich bin jetzt die 99%. Aber das ist nur bei Menschen wie mir möglich, weil ich als Jugendlicher, halt schon mal ein normales Gehör hatte und mein Gehirn darauf vorbereitet war. Aber die technische Lösung wird nie perfekt sein. Wir werden immer die menschliche Lösung brauchen. Die menschliche Lösung wird auch nie heissen, dass wir die Verantwortung abschieben können an den Staat. der wird schon bezahlen, der wird schon organisieren. Sondern, dass das immer eine Frage unseres Miteinanders, hier jetzt vor Ort, ist. Und, das allererste was wir wirklich tun müssen ist, aufhören die Menschen weg zu sortieren. Ich mein', gerade bei Julia, der Punkt von Geburt an gehörlos, eigentlich prädestiniert für eine Karriere, die dann eher unglücklich verläuft. Hatte das grosse Glück, als Kind ein paar Jahre dann doch in der Regelschule zu sein, was Ihr unheimlich viel geholfen hat. In die Richtung muss es gehen und ich glaube, dann würden wir schon mal einen dicken Stein ins Rollen bringen, was gesamtgesellschaftliche Inklusion betrifft, ohne darüber zu streiten wo wir jetzt im Detail Rampen einbauen müssen oder wo welches Hörgerät jetzt noch wie viel Zuzahlung braucht. Weil wir uns in diesen Detailstreitigkeiten fürchterlich verzetteln und dabei, das grosse Ganze aus dem Blick verlieren. Julia: Ich glaube, wir habe da bisschen unterschiedliche Meinungen (Da muss man drüber diskutieren. Meine Meinung ist einfach:) Man kann nicht einfach sagen, dass gehörlose Kinder schon im Alter von Monaten ein CI bekommen Die Eltern stehen oft ja vor der Entscheidung ,soll mein Kind jetzt ein CI bekommen mit 8 Monaten oder nicht? Wichtig ist, dass die Gesellschaft sagt, egal ob das Kind jetzt ein CI hat oder nicht, trotzdem wird es entsprechend gefördert, ob mit CI oder ohne CI. Die Eltern sollen nicht gezwungen werden, dass das Kind unbedingt mit 8 Monaten dieses CI braucht. Bei mir steht auf dem T-Shirt: Ich liebe Barrierefreiheit. Ich meine jetzt nicht komplett Barrierefreiheit... das wird sowieso nicht klappen. Mein Wunsch ist einfach, dass Barrierefreiheit wirklich eine Selbstverständlichkeit wird im Leben. Dass es z.B. beim Fernsehen einschalten Untertitel gibt. Oder, dass ich Polizei und Krankenwagen rufen kann. Wie soll ich das heute machen? Ich kann das heute nicht machen! Das muss selbstverständlich sein. In anderen Ländern ist es schon selbstverständlich, aber bei uns nicht. Die Innenminister oder die ganzen Minister, haben dann die Aktionspläne auf die Agenda gesetzt, wie man das ganze umsetzt, aber zur tatsächlichen Umsetzung kommt es im Moment nicht. Florian: Ich habe auch das Gefühl, dass es vielleicht auch daran liegt, dass dieses Thema immer noch in so einer Nische verschwindet. Als wir uns gestern Abend unterhalten haben, habe ich dieses Beispiel gebracht, dass es eine.. ich meine es wäre die Heute Sendung gewesen, die dann auf einem bestimmten Sendeplatz, so zu sagen, nochmal mit Gebärdendolmetscher verschiwndet. So bisschen als... da wird es hingeschoben, auf einen Sonderplatz. Das ist so mein Eindruck. Das wird so in eine exotische... ähm... Hauptsache nicht Hauptprogramm und Hauptsache nicht gross diskutiert-- Ecke geschoben. Ist der Eindruck richtig? Alexander: Ehm ja, das ist so und das ist deswegen so, weil über Barrierefreiheit im Sinne von Reparaturmassnahmen nachgedacht wird. Also, es gibt irgend einen Status Quo, irgend ein Problem taucht auf, dann überlegt man sich, was kann man da machen? Ehm.. reparieren! Aber das Ding ist, dabei ist man nur am reagieren, nicht am agieren. So entstehen dann solche, etwas eigentümliche anmutende Lösungen, wie eine Gehörlosen-Sendung zwischen 10 und 11, freitags, morgens. Und das geht in die Richtung, wie denkt man überhaupt über so ein Problem nach? Wie Barrierefreiheit, die Unterschiedlichkeit der Menschen, die alle unterschiedliche Bedürfnisse haben um an bestimmten gesellschaftlichen Bereichen teil zu haben. Macht man das so reaktiv, je nachdem was gerade aufkommt, gibt es gerade jemanden wie Julia, die gerade jetzt diese und jene Person nervt, die dann reagiert und irgend eine Flickenlösung produziert oder versucht man, schafft man es überhaupt, so was wie ein breiteres Umdenken, ein planvolleres Umdenken hinzukriegen. Ich fände das sehr wünschenswert, ich bin aber auch sehr skeptisch ob so was überhaupt geht. Und andererseits, ob es überhaupt wünschenswert wäre, dass es so eine zentrale Planungsinstanz gibt? Dass hat ja auch was für sich, dass es eben keine zentrale Planungsinstanz gibt, die dann auch Fehlentscheidungen treffen kann. Also das heisst, Flickenlösung, Ja. Muss man zu einem gewissen Grad mit leben. Aber, das Bemühen geht dahin, aktiv und vor allem proaktiv Institutionen und Organisationen so anzulegen, dass es nicht zu so was kommen muss. Julia: Wir haben ja in Deutschland eigentlich ein Antidiskiminierungsgesetz, aber ich habe das Gefühl, dass es nur Makeup ist. Ich denke, es wäre wichtig, dass es z.B. auf ARD und ZDF selbstverständlich ist, dass Gebärdensprache eingesetzt wird. Also, die Öffentlichkeit muss einfach.. da muss es selbstverständlich sein, in der Öffentlichkeit. Ja, es sollten sich einfach mehr mit dem Thema Behinderung beschäftigen. Das Kinder behindert sind mit Kinder die nicht behindert sind, gemeinsam in die Schule gehen, gemeinsam aufwachsen, dass wirkliche Inklusion umgesetzt wird, bis sie dann auch erwachsen sind. Das Fernsehen muss einfach sein, dass das selbstverständlich ist für alle in der Gesellschaft und es sollte unser aller Fernsehen sein. Florian: Ehm.. ich finde zumindest, dass auf der re:publica, Gebärdensprachdolmetscher inzwischen fast schon selbstverständlich sind, ist zumindest ein Anfang dafür. Da die viel zu kurze halbe Stunde schon um ist, würde ich ganz gerne noch die Gelegenheit geben, für euch, Fragen zu stellen. Ehm.. wir haben zumindest noch 10 Minuten viertel Stündchen.. ehm.. Konny wird gerne die Fragerunde übernehmen. Wenn ihr also an einen der dreien noch Fragen stellen möchtet, gerne jetzt. Konny: Wer war?.. Vorne Rechts?.. Ah hier.. Da komme ich doch.. Ich gebe mal weiter.. Frage aus dem Publikum (weiblich): Ja, ehm.. ich würde gerne fragen: wie weit euch das Internet hilft, Euch auch untereinander zu vernetzen? Also, in wie weit ihr das Internet als Kommunikationsmedium benutzt, um euch zu organisieren und es durchzusetzen? Alexander: Dass ist eine ganz wichtige Frage. Ich finde es toll, dass Sie das gefragt haben. Ich finde.. das Besondere, was das Internet und die Social-Media geschafft haben oder was wir auf diesen Wegen geschafft haben, ist die Art wie Kontakte geknüpft werden und wie man sich in eine menschliche Gemeinschaft einbringt. In gewisser Masse, vom Kopf auf die Füsse zu stellen. Denn wenn man sich mal, sagen wir jetzt mal, die 80iger Jahre vorstellt, ein etwas unglücklicher Schwerhöriger, der irgendwo auf dem platten Land auf dem Dorf sitzt und nicht so richtig klarkommt. und auch nicht so richtig weiss wohin mit sich oder wie er die Probleme angehen soll. Alles ist so diffus.. ehm.. der hatte nicht viele Möglichkeiten. Der hatte vielleicht noch die Möglichkeit eine Selbsthilfegruppe irgendwo zu finden, gleichgesinnte Menschen oder Menschen die vom selben Schicksal betroffen sind und es steht an erster Stelle die Behinderung oder das Problem und darüber werden dann Menschen gesucht oder gefunden mit denen man sich treffen und austauschen kann. Dann sitzt man mit denen in Räumen, ist auf sie angewiesen, es gibt Gruppeneffekte, das ist schon ganz nett. Aber das Grosse Tolle Neuartige, was das Internet macht, ist eben, diese Beziehung umzugehen Es geht nicht mehr in erster Linie darum, wer hat das gleiche Problem wie ich? Mit wem kann ich mich da unterhalten? Sondern, man kann einfach seinen Interessen folgen. "Nobody knows you're a dog on the internet" dieser Spruch ist zwiespältig. Wir haben vorhin über diese Schriftsprachenversierung gesprochen. Andererseits ist es wirklich so, dass man die Möglichkeit hat, schreibend, publizierend, sich mitteilend und eben lesend seinen Interessen zu folgen und darüber dann in Gruppenbindungen einzutreten. Und dass ist wirklich nicht zu unterschätzen. Das ist vom Kopf auf die Füsse und es ist eine Form von Sozialität, die da entsteht, die mit Behinderung erst mal nichts zu tun hat. Das ist ganz ganz wichtig, denke ich. Julia: Wollte nur sagen, mach bißchen kürzer! Alexander: Okay